Mit sechs Kleinwagen über die Alpen an die Adria

„Auf Achse“ zum großen NSU-Treffen auf dem Lido bei Venedig

Die Autostrada kurz vor Venedig ist eine Wasserstraße, ein Wolkenbruch erlaubt nur Tempo 70. Ausgerechnet jetzt ist der Falz am Faltdach des Fiat 500 F überfordert: Wassereinbruch direkt über dem Fahrer. Eine Hand nutzt Michael für das Handtuch, die andere hält das Lenkrad. Auch die Frontscheibendichtung gibt jetzt auf. Bald steht Wasser um Fußraum. Ist das Fahren von Oldtimern immer ein Vergnügen? Einzig mögliche Antwort: Positiv denken! So setzt sich statt der Sehnsucht nach einer modernen – und trockenen – Limousine der tröstende Gedanke durch: „Wie gut, dass ich nicht auf einem Motorrad sitze.“ Noch besser, dass die Reifen vor der Oldtimer-Tour noch erneuert wurden – einem GTÜ-Tipp folgend, dass Pneus mit der Zeit aushärten und trotzt viel Profil nach acht bis zehn Jahren gewechselt werden sollten. So haftet der Fiat einwandfrei auf der rutschigen Autostrada.

Völkerverständigung über die Alpen

Fünf NSU Prinz der Baujahre 1960 bis 1962 und der Fiat von 1971 sind auf dem Weg zum 43. NSU-Clubtreffen an der Adria. Alle paar Jahre findet es auf dem Campingplatz Union Lido statt. Dessen Geschichte beginnt 1955 als NSU-Lido, einem Urlaubsort für NSU-Mitarbeiter und deren Familien. Ein besonderer Akt der Völkerverständigung: Zehn Jahre nach Kriegsende reisen die Werker des Motorrad- und Automobilherstellers über die Alpen an die Adria. Erst danach dreht sich die Bewegung um, die ersten Gastarbeiter aus Italien beschleunigen das deutsche Wirtschaftswunder. Nach der Fusion von NSU mit der Auto Union (später Audi) wird der Campingplatz Anfang der 1970er-Jahre in Union Lido umbenannt.

Verschnaufen: Kaffeepause in den Dolomiten.

Vor dem Treffen kommt die Tour

Das Sextett aus dem Schwabenland hebt sich in einem Punkt von vielen anderen Teilnehmern des Treffens ab: Sie reisen mit ihren Zweizylindern „auf Achse“ an, wie es in der Oldtimerei heißt. Gefahren wird auf den Straßen von damals und auf möglichst schönen Wegen über viele Dolomitenpässe hinweg, fern von allen Autobahnen. Jedenfalls bis kurz vor Venedig.

Liebeserklärung an den Prinz

NSU-Spitzenschrauber Thomas kauft als sein erstes Auto im Jahr 1972 einen NSU Prinz. Kaufgrund eins: „Das Image. Das galt dank wilder Driftwinkel auf Rennstrecken und flotter Artikel in Fachmagazinen als durchaus sportlich.“ Kaufgrund zwei: „Die Dinger waren nichts wert, und ich hatte kein Geld.“ Der erste Prinz weicht 1978 einem weitaus besseren Modell im Jahreswagenzustand mit 23.000 Kilometern auf dem Tacho. Der glänzt heute nach nur rund 35.000 Kilometern immer noch im Jahreswagenzustand.

Seit 45 Jahren unzertrennlich: Michael und sein Fiat.

Der Fuhrpark wächst weiter

Vier Jahrzehnte nach dem Fahrzeugwechsel erhält Thomas einen Anruf aus Norddeutschland. „Sie haben 1978 einen Prinz verkauft. Wollen sie ihn wiederhaben?“ Thomas‘ erster Prinz ist wieder da! Manche Autos suchen sich ihre Besitzer. Der Kleine kehrt in bemitleidenswertem Zustand zurück nach Leonberg. Heute erscheint er gründlich restauriert in dezentem Grün. Der Fuhrpark wächst weiter: Einen weißen Prinz ohne Front und Innenausstattung ersteht Thomas wegen des Schiebedachs, er restauriert das gesamte Auto gleich mit.

„Fahre Prinz, und du bist König“: Der Werbespruch gilt ewig.

Bodenlos, aber nicht hoffnungslos

Dann sieht er eine Anzeige im französischen Netz. Ein 2008 ausgemusterter, danach als Stockcar missbrauchter und im Freien geparkter Prinz wird angeboten. Angesichts dieser fordernden Biografie erscheint er als unrettbar. Für Thomas ein Ansporn: „Bodenlos, aber nicht hoffnungslos!“ Neue Bodengruppe, neue Innenausstattung mit schicken Schalensitzen, nur die korrodierten Bleche rundum bleiben, wie sie sind. Patina eben. So viel ist sicher, kein NSU zieht beim Club-Treffen mehr Aufmerksamkeit auf sich. Alle vier der Prinzengarde sind technisch top und mit kräftigen 30 PS aus 600 Kubikzentimeter Hubraum versehen. Wie gut, dass Thomas zwei NSU-begeisterte Söhne namens Holger und Nils hat, sie pilotieren zwei der Fahrzeuge. Der enge Freund Stefan übernimmt den vierten Prinz.

Gipfelstürmer: Selbst 30 PS können die Alpen bezwingen.

ZEILE

Und die beiden anderen? Claus und sein Bruder Michael verreisen mit Thomas seit zwei Jahrzehnten regelmäßig mit eigenen Oldtimern, auch solchen auf zwei Rädern. Diesmal nutzt Claus seinen eleganten NSU Sportprinz. Bleibt der Fiat 500 F, gemeinsam mit Michael hat Claus ihn schon 1982 von der ursprünglichen Goggomobil-Technik auf Fiat umgerüstet. Seine Daten heute: 650 Kubikzentimeter, 23 PS.

Sechs Hände im Motorraum

Pannen während der Italienreise? Eine einzige. Kurz vor einem Dorf in den Dolomiten nimmt der Fiat kein Gas mehr an. Bei stärker werdendem Regen und Temperaturen im einstelligen Bereich bleibt die gute Laune die Konstante, sechs Hände fliegen durch den engen Motorraum. Tätigkeitsnachweise: Tausch von Benzinfilter und Kondensator, Test von Zündfunken und Benzinpumpe, Verteilerfinger und Unterbrecherkontaktabstand. Als alles nichts hilft, zerlegen Thomas, Claus und Stefan den Vergaser. Wasser in der Schwimmerkammer! Jetzt läuft er wieder.

Kundige Hände: Erste Hilfe am Fiat 500 F.

Dem Alltagstrott davonfahren

Nach zwei Tagen Fahrt noch nicht ganz trocken, dazu etwas unterkühlt, aber glücklich: Sechs Gipfelstürmer lächeln am Tor des Union Lido. Bei dampfenden Spaghetti di Mare am Abend stellt sich eine übliche Frage unter Oldtimer-Fahrern: Warum das alles? In den Gesprächen herrscht die einhellige Meinung, dass man dem Alltagstrott kaum schneller davonfahren kann als mit so einem Kleinwagen. Zwischengas, Zwischenkuppeln, feinfühliges und langsamen Schalten, behutsames Spielen mit dem Gaspedal, das Fahren verlangt Konzentration und gibt Emotion. Auf Geradeauskilometern bleibt Muße für eigene Gedanken. Meditieren auf Rädern. Bis es sonntags in einem Rutsch wieder nach Hause geht: 720 Kilometer in zwölf Stunden.

Hinter dem Dunst die Sonne: Halt am Karerpass in 1.752 Meter Höhe

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