Den Kfz-Verbandkasten prüft die GTÜ bei jeder Hauptuntersuchung: Ist das Erste-Hilfe-Set vorhanden und komplett? Ist kein Ablaufdatum des sterilen Materials überschritten? Seit 1971 schreibt die StVZO vor, dass Personenwagen für den Notfall einen Verbandkasten an Bord haben müssen. Die Inhaltsliste nach DIN 13164 wird immer wieder aktualisiert, zuletzt sind Mund-Nase-Masken dazugekommen. Die Bedeutung des Erste-Hilfe-Sets für den Alltag im Straßenverkehr ordnet Univ.-Prof. Dr. Andreas Seekamp im Interview mit dem GTÜ-Blog ein. Er ist Direktor der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie sowie Lehrstuhlinhaber für Unfallchirurgie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Kiel. 2024 war Prof. Dr. Seekamp Präsident der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) sowie Präsident der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU).
Herr Professor Seekamp, warum ist es so wichtig, einen Verbandkasten im Auto mitzuführen?
Die im Verbandkasten enthaltenen Materialien eignen sich gut, um nach einem Unfall leichte Verletzungen zu versorgen. Am wichtigsten sind dabei die Kompressen, die Verbandsbinden sowie einzelne Pflaster, eine Schere und eine Pflasterrolle zum Fixieren der Verbandsbinden. Darüber hinaus sind sterile Handschuhe wichtig, ein Desinfektionsmittel für Wunden und ein Dreieckstuch zum Sichern von Verbänden und ruhigstellenden Maßnahmen an Armen und Beinen. Deshalb ist es so sinnvoll, dass man einen Verbandkasten im Kraftfahrzeug mitführen muss.
Für die Erste Hilfe braucht man also den Verbandkasten?
Er kann dabei zumindest eine entscheidende Rolle spielen. Das funktioniert aber nur, wenn man sowohl die Maßnahmen der Ersten Hilfe beherrscht als auch den Verbandkasten anzuwenden weiß. Deshalb appelliere ich an alle Verkehrsteilnehmer: Machen Sie sich mit den Techniken der Ersten Hilfe vertraut – und mit den Inhalten des Verbandkastens! Weder das eine noch das andere allein kann eine adäquate Erste Hilfe bei Unfallverletzten sicherstellen.
Um welche Fähigkeiten geht es da?
Wichtig ist, dass man mit den Verbandsmaterialien und den Verbandstechniken vertraut ist. Um den Umgang zu erlernen und regelmäßig neu einzuüben sind Erste-Hilfe-Kurse zu empfehlen, die zum Beispiel von verschiedenen Rettungsdienstorganisationen angeboten werden. Neben Verbandstechniken lernt man dort, wie man sich einem Unfallverletzten nähert, welche Untersuchungstechniken man als Laie anwenden kann und wie Unfallverletzte richtig gelagert werden können. Genannt sei hier beispielhaft die stabile Seitenlage: Sie kann helfen, die Atemwege freizuhalten, wenn Unfallverletzte vielleicht nicht ganz bei Bewusstsein sind. Schon das kann für den Patienten lebensrettend sein.
Und wozu setze ich den Inhalt des Verbandkastens konkret ein?
Es geht dabei zum Beispiel um das Anlegen eines sterilen Verbandes. Wird das nach einem Unfall schnell ausgeführt, lässt sich eine anhaltende Blutung stoppen, aber auch spätere Wundinfektionen verhindern. Das hat für die weitere medizinische Versorgung klare Vorteile: Bei schwereren Verletzungen überbrückt die richtig ausgeführte Erstversorgung die Rettungszeit, also die Anfahrt des alarmierten Rettungsdienstes. Das kann je nach Unfallort bis zu 15 Minuten dauern. Allein das Offenlassen einer Wunde über diesen Zeitraum kann die Infektanfälligkeit erhöhen, und selbstverständlich ist auch der Blutverlust riskant. Leichte Verletzungen können mit dem Verbandkasten oft so gut versorgt werden, dass man den Rettungsdienst gar nicht benötigt. Außerdem gibt es bei Verkehrsunfällen häufig Betroffene mit verschiedenen Verletzungsgraden. Da entlastet es den Rettungsdienst sehr, wenn sich Ersthelfer um Leichtverletzte kümmern. Die professionellen Rettungsassistenten oder Notfallsanitäter können sich dann den schwerverletzten Unfallopfern oder eingeklemmten Personen zuwenden.
Wo liegen die Grenzen der Einsatzmöglichkeit des Verbandkastens?
Klare Sache: Etwa bei eingeklemmten Unfallopfern oder sonst schwer verletzten Unfallopfern müssen Experten heran. Zur Ersten Hilfe gehört in diesem Fall das Alarmieren professioneller Helfer über den Notruf 112 und das Absichern der Unfallstelle sowie die Eigensicherung – insbesondere durch Warnwesten. Danach können Ersthelfer versuchen, sich den verunfallten Personen zuzuwenden, ohne für sich und andere ein Risiko einzugehen. Zur Erinnerung: Wer als erstes an einen Unfallort kommt ist verpflichtet, Erste Hilfe zu leisten!
Gibt es aus Sicht der Unfallmedizin Impulse, den Inhalt des Verbandkastens zu verändern?
Aus meiner Sicht ist der Verbandkasten für die Laienersthilfe völlig ausreichend. Das gilt nicht nur für Autounfälle. Aus der eigenen praktischen Erfahrung wissen wir, dass Verbandkästen und das darin enthaltene Material während der üblicherweise fünfjährigen Haltbarkeit vergleichsweise selten bei Verkehrsunfällen Anwendung findet. Dafür kommt der Kfz-Verbandkasten aber oft auch bei Unfällen in der Freizeit, im Haushalt und beim Sport zum Einsatz.
Haben Sie Tipps für den richtigen Umgang mit dem Verbandkasten?
Ob Verkehrsunfall oder Haushaltsunglück: Ganz wichtig ist, dass das vorhandene Material stets steril verwendet wird und dass sterile Handschuhe genutzt werden. Ich plädiere auch sehr dafür, dass man sich mit den Inhalten seines Verbandkastens auseinandersetzt: Im Notfall hilft es sehr zu wissen, wo welches Material zu finden ist. Zum richtigen Umgang gehört auch, abgelaufene Materialien zu ersetzen. Sie sind nicht mehr zuverlässig keimfrei zu verwenden und erhöhen das Infektionsrisiko. Deshalb gehören sie entsorgt. Bei überschrittenem Verfallsdatum lohnt es sich durchaus, nur die entsprechenden Einzelteile zu erneuern. Es muss nicht gleich der komplette Verbandskasten in den Müll geworfen werden. Die Hauptuntersuchung alle zwei Jahre hilft dabei, das Ablaufdatum des Sterilmaterials im Blick zu behalten.